Interview mit Jeljer und Lukas von Reloadify
Jeljer te Wies und Lukas Hietkamp sind die Gründer und Geschäftsführer von Reloadify mit Sitz in Groningen. Sie kultivieren eine bemerkenswerte Unternehmenskultur. Lies in diesem Interview mit Michaela Rau von Hellmund - Die Personalberater über ihr Unternehmen, seine Gründung, Arbeitsbedingungen und Motivation.
„Wir möchten ein Unternehmen sein, für das Menschen auch in den nächsten 30 Jahren noch arbeiten wollen”
Hallo Jeljer und Lukas! Wer ist Reloadify und was sind die Wurzeln eures Unternehmens?
Lukas: Ich war Online-Marketing-Berater im eigenen Geschäft, als ich 2015 Jeljer in Groningen kennenlernte. Er war damals freiberuflich als Entwickler tätig und ich stellte ihm meine Idee für eine einfache Software zur Suchmaschinenoptimierung vor. Wir begannen daran zu arbeiten, und es wurde sehr schnell ein Hit für E- Commerce-Shops weltweit. Zwei, drei Jahre später nutzten bereits rund 1.000 Shops unser Produkt. Allerdings war das Produkt viel zu preiswert. In diesen drei Jahren haben wir viel Erfahrung in der E-Commerce-Welt gesammelt und sahen daher eine Chance für eine neue E-Commerce-Software. Wir geben E-Commerce-Anbietern und Agenturen mit unserer Software umfangreiche Daten über ihre Kunden an die Hand. Im Mai 2019 gingen wir an den Start. Heute arbeiten 15 Leute (12 interne, 3 externe) bei uns, doppelt so viele, wie zu Beginn. Wir sind von Beginn an profitabel. Das ist für ein Start-up, dass sich aus eigener Kraft und mit eigenem Kapital entwickelt hat, schon eine Leistung. Darauf sind wir sehr stolz.
Wofür brauchen Unternehmen euer Angebot?
95 % der Unternehmen wissen nicht, welchen Kunden-Datenschatz sie an der Hand haben. Mit unserer Software-Lösung machen wir es Unternehmen leicht, die vorhandenen Daten z.B. für die Kundenansprache zu nutzen. Ein Beispiel: Bei niedrigem durchschnittlichen Auftragswert pro Kunde kann unsere Software entlang der Customer Journey helfen, mehr Umsatz zu generieren. Unsere Software bietet jede Menge: Kunden an den richtigen Kontaktpunkten erreichen, die eigene „Fanbase” pflegen, den Umsatz mit den richtigen Features steigern und die Kundenkommunikation sinnvoll automatisieren. Unternehmen und Marketingagenturen stehen bei der Nutzung dieser Daten noch ganz am Anfang.
Wir sind also mit unserem Produkt weit vorn. Und wir merken, dass das Wissen der Online-Agenturen bestenfalls mittelmäßig ist. Hier gibt es großen Beratungsbedarf. Dafür haben wir Masterclass-Videos und eine Akademie entwickelt.
Wer arbeitet in eurem Unternehmen?
Lukas: Wir haben schon sehr früh damit begonnen, in erfahrene Leute zu investieren, die über großes Wissen im E-Mail-Marketing verfügen. Sie sind Experten. Sie können die Fragen der Kunden sofort beantworten und umfassend beraten. Dafür erhalten wir sehr gutes Feedback.
Denn unsere Kunden sprechen mit Experten, die ihr Problem verstehen. Es ist auch für uns nicht einfach, erfahrene und gut ausgebildete Leute zu finden. Wir haben deshalb entschieden, dass wir mehr ausbilden. Unsere Mitarbeiter bauen in der Einarbeitung umfassendes Wissen auf.
Jeljer: Ich würde sagen, wir sind sogar wählerischer bei der Auswahl unserer Mitarbeiter.
Lukas: Wir sind kein Beratungsunternehmen, das pro Stunde bezahlt wird. Wir vermieten unsere Software an Kunden. Deshalb halten wir unsere Organisation so schlank wie möglich. Wir investieren lieber in einen wirklich guten Experten für den Kundensupport als in zwei mittelmäßige Mitarbeiter. Wir machen uns die Entscheidung für eine Einstellung nicht leicht. Ich würde sagen, dass wir sogar ziemlich streng sind, weil wir hohe Qualitätsansprüche haben. Aber wer zu uns kommt, findet gute Arbeitsbedingungen vor, um sich zu entwickeln.
Gute Personalentwicklung ist also das Geheimnis eures Erfolgs?
Lukas: Für unsere Mitarbeiter versuchen wir, den Stress so gering wie möglich zu halten. Wir können selbst entscheiden, in welchem Tempo unser Unternehmen wächst. Das Unternehmen gehört uns. Es gibt keinen Investor, der Ziele und Tempo vorgibt. Deshalb können wir gesund wachsen, in Ruhe Menschen einstellen und sie bei uns ausbilden. Wenn wir schneller wachsen, brauchen wir mehr Personal, dann entsteht mehr Stress für alle und es würden mehr Fehler passieren. Das hat keine guten Auswirkungen auf die Zufriedenheit unserer Kunden. Unser Ziel ist es, ein Unternehmen zu schaffen, für das wir alle auch in den nächsten 30 Jahren noch arbeiten möchten. Das ist unsere Philosophie. Wir haben Arbeitstage von 9 bis 17 Uhr eingeführt. Unsere Mitarbeiter machen keine Überstunden. Es gibt eine unbegrenzte Anzahl bezahlter Urlaubstage, eine gute Altersversorgung. Wir zahlen wettbewerbsfähige Gehälter und bieten weitere Benefits.
Was bedeutet unbegrenzter Urlaub?
Lukas: Wir wollen nicht, dass unsere Mitarbeiter irgendwann ausbrennen. Mir wäre es lieber, wenn jemand noch eine Woche Urlaub nimmt und sich erholt, auch wenn er schon im Urlaub war. Stell dir vor, du hast ein schwieriges Jahr hinter dir. In deiner Familie gab es einen Todesfall oder etwas anderes verlangt, dass du dir Zeit nimmst. Oder wenn du sechs Monate lang mit dem Rucksack unterwegs sein willst. Über so etwas müssen wir reden, denn es muss einfach möglich sein.
Jeljer: Unsere Mitarbeiter haben ein großes Interesse daran, das Unternehmen voranzubringen. Sie sind sehr engagiert. Es kommt also eher vor, dass wir sagen müssen: Du musst jetzt mal eine Pause machen.
Lukas: Es ist eine Vertrauenssache. Können wir den Leuten vertrauen, dass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen und Verantwortung für ihre Arbeit übernehmen?
Jeljer: Und das können wir. Wir sind auch keine typischen “Chefs”. Wir machen nicht viele Meetings, wir setzen keine Fristen. Wir hoffen, dass jeder Verantwortung übernimmt, und deshalb sind wir auch so kritisch, wen wir einstellen.
Wir sind auch keine typischen “Chefs”. Wir machen nicht viele Meetings, wir setzen keine Fristen. Wir hoffen, dass jeder Verantwortung übernimmt, und deshalb sind wir auch so kritisch, wen wir einstellen.
Jeljer te Wies, CTO
Worauf schaut ihr besonders bei der Einstellung?
Lukas: Wenn wir mit jemandem nach der Arbeit ein Bier trinken können. (lacht) Was wir nicht suchen, sind Leute, die um jeden Preis Karriere machen wollen.
Jeljer: Es kommt darauf an. Entwickler benötigen andere soziale Kompetenzen als jemand im Marketing. Wir brauchen Teamplayer, keine Alphatiere.
Lukas: Und Work-Life-Balance ist wichtig. Wir sind als Unternehmen nicht gut, wenn alle gestresst sind.
Lukas verabschiedet sich an dem Punkt des Interviews mit den Worten, er habe heute „Daddy Day”.
Wie arbeitet ihr zusammen und wie organisiert ihr euch bei Reloadify?
Jeljer: Unsere Büroräume haben einen offenen Grundriss. Es gibt einen großen Raum, in dem wir alle arbeiten. Wenn also alle durch den Raum laufen und miteinander reden, würden viele Leute in ihrem Arbeitsfluss gestört werden. Deshalb haben wir Gesprächszeiten und gesprächsfreie Zeiten. Zwischen 9 und 10 Uhr kann man über den Tag oder das Wochenende reden. Aber zwischen 10 und 12 Uhr ist Ruhezeit, von 12 bis 13 Uhr essen wir gemeinsam zu Mittag, und von 13 bis 16 Uhr ist ebenfalls wieder Ruhezeit. Es ist nicht so, dass das Reden während dieser Zeit verboten ist. Aber man sollte auf die anderen Kollegen Rücksicht nehmen.
Das Wichtigste ist die Konzentration, also ein paar Stunden nachdenken zu können und seine Arbeit zu erledigen. Viele Mitarbeiter arbeiten im Homeoffice. Ich persönlich mag es, im Büro zu sein. Ein Kollege von uns wohnt in Den Haag. Wir bezahlen das Hotel, wenn er ins Büro kommt. Wer will, kann morgens sagen: Ich werde heute von zu Hause aus arbeiten. Und dann geht das in Ordnung.
Wie bringt ihr das Team wieder zusammen?
Jeljer: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das von selbst kommt. Wir haben ein Entwicklerteam, dass sich einmal pro Woche etwa 10-15 Minuten bespricht. Das ist das einzige Meeting, das wir in der Woche haben. Andere Meetings gibt es nicht. Wir nutzen asynchrone Kommunikation: Wer eine Frage hat, stellt sie über Slack.
Die Entwickler arbeiten also selbstorganisiert?
Jeljer: Sie haben einen Zyklus von sechs Wochen und keine Deadlines. Unser Anspruch: Es muss gut gemacht werden, nicht schnell. Wenn die Entwickler mit ihrer Arbeit früher fertig sind, dann dürfen sie tun, was sie wollen. Und sehr oft finden sie Dinge, die sowieso erledigt werden müssen.
Was würdet ihr Unternehmen empfehlen, die an dieser Form flexibler Arbeit und offener Kultur Zweifel haben?
Jeljer: Als Führungsperson zweifelt man schnell an den Menschen. Arbeiten die wirklich? Das basiert oft auf Gefühlen, aber nicht auf Fakten. Also führen Manager Kontrollen durch, um sich gut zu fühlen: tägliche Besprechungen, Einhaltung von Fristen und so weiter. Aber wenn man seinen Mitarbeitern die Freiheit gibt, werden sie ihren Weg finden. Das ist nicht einfach, das zuzulassen. Wenn man die Mitarbeiter 3 bis 4 Tage lang nicht sieht, macht man sich Gedanken. Man fängt an, sie per Chat zu fragen: “Hey, wie geht’s dir?” Das hilft nicht und ist auch nicht nötig. Mein Rat? Entspannt euch!
Wie ist das Feedback eures Teams?
Jeljer: Wir führen vierteljährlich 1:1-Gespräche mit einer strukturierten Liste von Fragen und erhalten ein sehr positives Feedback. Wir möchten, dass alle zufrieden sind. Wenn sie glücklich sind, haben sie Spaß bei der Arbeit. Und wenn sie ihre Arbeit mögen, dann bleiben sie bei uns.
Das Interview mit Lukas und Jeljer führte Michaela Rau.
07.02.2024 / Michaela Rau
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